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Indien - Asien

Reise durch Nordindien im Jahr 1979

Varanasi vom Ganges aus
Varanasi vom Ganges aus

Varanasi

Es folgte ein Shopping-Tag.
Die Fülle der in Varanasi angebotenen Waren ist ungeheuer, die Stadt ist auch als Handelszentrum weit berühmt. Ihr Ruf als heiliger Platz machte sich in barer Münze bezahlt. Viele Stunden streiften wir durch die zum Teil engen Gassen der Bazare.
Silber- und Schmuckwaren, Stoffe und Handarbeiten, Lampen, Batiken, Holz- und Keramikwaren in großer Fülle warteten auf Interessierte, die sich zu langen Preisverhandlungen bei dem in Indien unvermeidlichen Milch-Tee in den Geschäften nieder ließen.
In den Gassen suchten auch die allgegenwärtigen dürren Kühe Nahrung, welche sich entweder durch Abfall oder durch Diebstahl an den Gemüsekarren über Wasser hielten. Bei letzterem mußten sie in dieser tiefreligiösen Stadt noch nicht einmal den Stock fürchten. Sogar die muslimischen Straßenhändler hielten sich hiermit zurück, um die Hindus nicht zu provozieren.
Wir befanden uns gerade in einer der dichtbevölkerten kleinen Gassen unweit des Flußes, als eine dieser Kühe zu urinieren begann. Eine Alte vor uns, in ärmlicher bäuerlicher Kleidung, streckte die hohle Hand aus und wusch sich mit dem Urin des heiligen Tieres das Gesicht.
Selbstverständlich hielten wir unwillkürlich und mit geweiteten Augen an. Ein jüngerer Inder in moderner Kleidung, der uns und die Alte beobachtet hatte, zeigte sich demonstrativ angewidert von dieser naiven Gläubigkeit:
„Das ist nicht normal! Diese Frau ist verrückt!“
Doch hielt ich das alte Weib eher für eine kindlich fromme Bäuerin aus einem abgelegenen Dorf, die nach Varanasi gepilgert war. Vielleicht, um am Ufer des heiligen Flußes auf Tod und besserer Wiedergeburt zu warten.
Auch über die Sadhus, die frommen Asketen von welchen es in der Stadt eine große Zahl gab und die nicht mit den Brahmanen, den Hindupriestern, zu verwechseln sind, waren übrigens die Meinungen der Inder geteilt. Während viele moderne Hindus diese schlicht für durchgeknallte Irre, beziehungsweise für arbeitsscheue oder rauschgiftsüchtige Dummköpfe hielten, sahen andere in ihnen verehrungswürdige Weise. Ich persönlich tendierte zur ersteren Meinung.

Ghat am Ganges in Varanasi
Ein Ghat am Ganges in Varanasi

Heilige Stadt der Hindus und religiöser Hass

Ein weiterer Vorfall an diesem Tag ereignete sich auf einer breiteren Gasse. Eine Rikscha fuhr mir mit ihrem Seitenrad heftig und schmerzhaft von hinten an Wade und Kniekehle. Ich schrie auf und brüllte den Fahrer an, er solle doch aufpassen, da ich an ein Versehen glaubte.
Doch haßerfüllt funkelte mich der ärmlich mit einem um die Hüften geschlungenen groben Tuch und einem löcherigen Hemd bekleidete Mensch an. Um den Kopf hatte er ein Stück Stoff geschlungen, welches ihn wohl als Muslim kennzeichnen sollte.
Wir gingen weiter und bogen um eine Ecke, auf der anderen Straßenseite wartete die Rikscha mit ihrem Fahrer. Ich zwinkerte dem Mann kurz zu und ging weiter.
Doch erneut erfasste mich kurz darauf ein heftiger Schmerz, diesmal hatte mich der Kerl so stark angefahren, daß sich ein Stück meiner Haut abgeschürft hatte und blaue Flecken zu sehen waren, wie ich später bemerkte.
Ich rannte ihm hinterher, faßte ihn derb an der Schulter und hielt ihm meine geballte Faust unter die Nase.
„Noch einmal und ich schlage dich tot, du verfluchter Bastard!“
Zischte ich wütend, aber natürlich ohne wirklichen Mordgedanken.
Der Moslem war vermutlich auf irgendeine Hetzpropaganda hereingefallen. Doch in dieser heiligen Stadt gab es wohl nicht nur einige fanatische Muslime, die Zerstörung einer uralten Moschee bei Varanasi und tödliche Treibjagden auf muslimische Inder in späteren Jahren sollten beweisen, daß auch manche der Hindus durch „religiöse“ Führer fanatisiert wurden.
Die Dummheit ist eben gerecht und gleichmäßig über alle Religionen und Völker verstreut.
Denkbar war allerdings auch, daß der Mann eine negative persönliche Erfahrung mit Ausländern gemacht hatte, aber selbst in diesem Fall war es natürlich kein Zeichen hoher Intelligenz, dafür Unschuldige verantwortlich zu machen.

Sonnenaufgang über dem Ganges
Sonnenaufgang über dem Ganges

Die Ghats am Ganges in Varanasi

Das Ufer des Ganges in Varanasi

Der letzte Tag war dem vorbehalten was Varanasi oder Benares im Westen berühmt gemacht hatte, den Riten der Hindus am Ganges.
Um 6:30 hatten wir uns wecken lassen. Fast schon ein bischen spät, wie sich herausstellte als wir kurz vor 7 Uhr den nahen Ganges erreichten, die Sonne ging gerade auf (es war Ende November) und viele der Gläubigen hatten den Tag schon mit einem Bad im heiligen Fluß begonnen. Wir ließen uns zu einer Bootsfahrt überreden und der Bootsmann ruderte uns zu einem Verbrennungsplatz.
Der dahinter gelegene Tempel war schwarz vom Rauch der Feuer. Gerade eben wurde eine Leiche verbrannt und zusammen mit unserem Führer erklommen wir die Stufen bis an eine Mauer, welche etwas über der Plattform lag auf der die Zeremonie statt fand. So waren wir nur ein paar wenige Schritte von der schaurigen Stätte entfernt. Ein Brahmane und Angehörige rezitierten Gebete.
Die Szene hinterließ in mir einen beklemmenden Eindruck. Die Bestatter schürten das Feuer mit langen Bambusstangen, mit denen auch die Knochen zerschlagen wurden, die noch aus der schwarzen Leiche herausragten. Das Holz zur Verbrennung war teuer und so wurde sparsam damit umgegangen. Geliefert wurde das Brennmaterial von den am Ufer festgemachten Holztransportern, neben denen auch unser Kahn festgemacht hatte.
Der fürchterlich beißende Gestank hüllte uns ein und es war ein Glück, daß wir noch nüchtern waren. Hoffentlich wurden die Arbeiter, die wohl den ganzen Tag hier verbringen mußten, dafür auch angemessen entlohnt.
Ich wollte fotografieren, doch der Bootsmann duldete das nicht, das sei verboten und selbst als ich den Platz aus etwa 100 Metern Entfernung auf dem Rückweg fotografierte, meckerte er noch, doch ließ ich mir eine Panoramaaufnahme des Ufers mit den darüber kreisenden Geiern nicht verbieten, was er dann auch akzeptierte.
Für die Inder ist der Ganges ja ein reinigendes Gewässer, doch ich spürte Eckel, als ich von den Ruderschlägen einigemal ein paar Tropfen des schmutzigen Flußwassers auf die Haut bekam, denn aller mögliche Unrat trieb im Wasser und auch die Reste der Leichen wurden dem Strom übergeben. Der Ganges ist einer der am stärksten verschmutzten Flüsse der Erde. Nicht nur die Abwässer vieler größer Städte, sondern vor allem der Aberglaube, daß 'Mutter Ganga' alles reinige und säubere, und zwar nicht nur in religiös philosophischer Hinsicht, sondern auch in der Realität, tragen dazu bei, daß sich die Situation nicht ändert.

Verbrennungsplatz am Ufer des Ganges
Verbrennungsplatz am Ufer des Ganges, Geier kreisen über den Tempeln von Varanasi

Nach dieser Kahnpartie folgte nochmal ein kurzer Bazarbesuch mit Frühstück, dann ins Hotel um zu packen, denn um 13:45 war check out. Gegen 15 Uhr ließen wir uns zum Bahnhof fahren und kamen im dortigen Restaurant mit Indern, Händlern aus der Mittelschicht, ins Gespräch.
Diese wollten uns glatt weis machen, daß sämtliche der ungezählten Bettler Indiens nach vollbrachtem „Tagewerk“ nach Hause in ihre Bungalows führen und in Wirklichkeit allesamt reiche Nichtstuer seien, die sich nur ärmlich zurecht machten um Mitleid zu erregen.
Nur bei Statements von deutschen Politikern hatte ich bisher einen noch größeren Schwachsinn gehört.
Wahr allerdings ist, daß in Indien von manchen Verbrechern Kinder absichtlich schrecklich verstümmelt werden, damit sie als Bettler größere Einkünfte erzielen. Solche Grausamkeiten können gerade auch durch Touristen, die verkrüppelten Kindern hohe Beträge schenken (die diese selbstverständlich abzuliefern haben), befördert werden. Es ist sehr schwer abzuschätzen, was künstlich erzeugt ist und was natürliche Ursachen hat.
Indien mit all seinen Widersprüchen ist eben nicht unbedingt ein Reiseziel für zart besaitete Menschen, aber mit dicker Haut allemal eine Reise wert. Auch wenn selbst dann der berühmte „Kulturschock“ ziemlich drastisch ausfallen kann.
Wer Indien nicht gesehen hat, hat die Welt nicht gesehen.

Um 21 Uhr endlich verließ unser Zug den Bahnhof, um uns in nächtlicher Fahrt nach Sonpur zu bringen. Ich hatte jetzt Zeit, das in den letzen Tagen Erlebte noch einmal Revue passieren zu lassen.
Das Abschlagen von aus einem halb verbrannten menschlichen Körper ragenden Knochen am Ganges hatte in mir einen so tiefen Eindruck hinterlassen, daß dieser mich wohl ein Leben lang begleiten würde. Viel tiefer war dieser Eindruck, als jener des pompösen Mausoleums in Agra, das ein verrückter Despot seiner verstorbenen Frau hatte errichten lassen und das auch irgendwann einmal, sei es durch Krieg oder Naturgewalt, nur noch ein unbeachtetes Ruinenfeld sein wird, aus dem vielleicht noch, wie jene Knochen aus der Leiche, eine Zeit lang die Reste seiner Minarette ragen.

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